Prävention sexualisierter Gewalt: Meike Schröer im Interview

Meike Schröer ist seit August 2018 wissenschaftliche Referentin an der Führungs-Akademie. Sie begleitet Verbände als Beraterin in der Entwicklung ihrer Organisationen und trainiert (Nachwuchs-)Führungskräfte aus dem Sport in persönlichen und sozialen Kompetenzen.
Zudem ist sie ausgewiesene Expertin für das Thema Prävention sexualisierter Gewalt.

RED: Frau Schröer, Sie sind ausgewiesene Expertin auf dem Gebiet der Prävention sexualisierter Gewalt. Seit wann verfolgen Sie dieses Thema?

M. Schröer: Im Jahr 2009 wurde ich Teil des Beratungsteams zur Prävention sexualisierter Gewalt des LSB NRW. Wir waren ca. zehn Berater/innen, die zur damaligen Zeit aber noch nicht angefragt wurden; erst als die ersten Fälle im Jahr 2010 in der katholischen Kirche, der Odenwaldschule und im Canisius-Kolleg in der Presse landeten, öffneten sich auch im Sport die Türen für uns, weil es ein Bewusstsein dafür gab, dass solche Themen auch im Sport passieren können.

Seit 2010 bin ich im Sportsetting beratend zu diesem Thema unterwegs.

In den Jahren 2013 bis 2018 konnte ich zu dem Thema auch an der Sporthochschule in Köln als wissenschaftliche Mitarbeiterin in zwei Projekten (SafeSport und Voices for truth und dignity) dabei sein und vielfältige Erfahrungen und Wissen sammeln.

 

RED: Welche Aufgabe bzw. Verpflichtung kommt dem organisierten Sport im Feld „Prävention und Intervention von sexualisierter Gewalt“ zu?

M. Schröer: Celia Brackenridge, eine Pionierin auf dem Forschungsgebiet rund um sexualisierte Gewalt hat mal gesagt: „Was sind wir für eine Gesellschaft, in der solche Dinge geschehen können?“ Sie hat damit den Blick geweitet, weg vom engen Fokus auf den Täter/die Täterin und der betroffenen Person, hin zu der Verantwortung aller Beteiligten, in unserem Falle im Sportsystem, da wir Strukturen und Kulturen des Umgangs durch unser Handeln und Denken täglich neu gestalten.

Ich zitiere gerne das nigerianische Sprichwort „Es braucht ein ganzes Dorf um ein Kind großzuziehen“ und wandle es bzgl. dieses Themas um: „Es braucht eine ganze Organisation, um Kinder und Jugendliche sicher aufwachsen zu lassen“.

Die Aufgabe des organisierten Sports ist es aus meiner Sicht die Strukturen unter dem Fokus Kindeswohl neu zu betrachten und anzupassen. Das geschieht laufend, u. a. auch durch die Bedingungen die an Fördermittel geknüpft werden, von dsj, BMI und PotAS.

Noch wichtiger ist es, dass Verantwortliche in allen Verbänden ehrlich hinschauen und nachfragen, welche Kulturen des Umgangs es im Sport noch gibt, die sagen wir ein „Upgrade“ vertragen könnten. Das betrifft Sprache, Sprüche, Witze, Alltagssexismus, Rituale, usw..

 

RED: Wie können oder sollten sich Sportvereine und –verbände dem Thema annähern?

M. Schröer: Vorwärts, mit gesundem Menschenverstand und beherzt.

Es gibt viele erprobte Vorgehensweisen und Hilfen, sich dem Thema zu nähern, u. a. auf den Webseiten der Sporthochschule Köln, der dsj und anderen Seiten der Verbände, wo Checklisten, Handlungsleitfäden, Vordrucke u.v.m. auf die Anwender/innen warten. Zudem bietet die Führungs-Akademie in ihrem Jahresprogramm ein Seminar und unterstützt die Mitgliedsorganisationen beratend.

Wie können die Verantwortlichen dabei vorgehen?
-    Sensibilisierung/Qualifizierung:
Sie holen sich jmd. der/die Ihnen die Basics erklärt u. a. Täterstrategien. Es gibt gute fachlich ausgebildete Referent/innen deutschlandweit.
-    Risikoanalyse:
Sie bilden ein interdisziplinäres Team mit Vertreter/innen aller Beteiligtengruppen (auch der Athlet/innen) und machen eine Risikoanalyse für Ihren Verband.
-    Umsetzen:
Sie setzen einfach Punkt für Punkt um – auch die Punkte in denen Sie Traditionen und Gewohnheiten verändern müssen.
-    Profis:
Sie involvieren so früh wie möglich die Profis, d.h. Menschen aus Beratungsstellen, ausgebildete Sportpsycholog/innen, Kolleg/innen aus Kinderschutzzentren u. a. die sich mit dem Thema im Falle eines Verdachts auskennen.
-    Athlet/innen:
Ein wichtiger Punkt in Deutschlands Sportsetting fehlt bis heute an vielen Stellen noch und das sind gute Schulungen für Athlet/innen. Wenn die Athlet/innen alles was in ihrem Sport passiert für normal halten, werden sie nie eine noch so gut ausgebildete Ansprechperson ansprechen. Es braucht ein Bewusstsein bei den Athlet/innen für gesunde Grenzen, Macht und Machtmissbrauch. Beteiligen Sie Ihre Athlet/innen – auch wenn mündige Athlet/innen unbequemer sind.

 

RED: Sind Sie der Auffassung, dass der Prävention sexualisierter Gewalt genügend Bedeutung und Aufmerksamkeit zugesprochen wird? Wo sehen Sie Handlungsbedarf?

M. Schröer: Nun ja, Sie fragen mich als eine Person, die über das Projekt „Voice“ Interviews mit Betroffenen von sexualisierter Gewalt im Sport geführt und ausgewertet hat, die Kenntnisse in Einzelinterviews mit Leitungspersonen und Ansprechpersonen aus den Sportverbänden hat und die aus den Seminaren vor Ort von Mitarbeiter/innen und Kolleg/innen viele „Internas“ kennt. Ich höre Geschichten, was für Umgangsweisen oft noch zu der Kultur, zur „NORMalität“ im Sportsystem dazugehören und gelebt werden. Noch dazu schaue ich mit einem systemischen Organisationsentwicklerinnen-Blick darauf.
Aus dieser ganz speziellen Perspektive beantworte ich hier auch Ihre Frage:

Ja, ich sehe Handlungsbedarf.

Solange Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Sport noch (sexualisierte) Gewalt erleben, besteht Handlungsbedarf. Das ist eine Verpflichtung des Sports gegenüber den Eltern, die ihre Kinder vertrauensvoll in die Hände der Beteiligten im organisierten Sport geben.

-    Regeln, Verhaltensregeln, Ehrenkodizes sind gut!
-   Eine zusätzliche Struktur, die das ganze System so sicher wie möglich aufzustellen versucht ist besser. (Regeln für Lizenzerwerb und -entzug, Präventionsprogramme und Handlungsleitfäden – viele Stufen im Stufenplan der dsj)
-    UND/ABER das Beste wäre:
Eine gelebte Kultur von Wertschätzung und Respekt, in der sich die Verantwortlichen selbstreflexiv die Frage stellen: „Was trage ich dazu bei, dass Täter und Täterinnen in meinem System agieren oder nicht agieren können?“

Wenn diese Frage wirklich und ehrlich beantwortet wird, auch in Bezug auf Themen wie Macht, Status, Tabus usw. dann wäre das die größte Sicherheit für nachkommende Generationen im Sport.

An dieser Stelle möchte ich meinen Dank allen aussprechen, die in vielen Vereinen und Verbänden schon seit Jahren engagiert arbeiten: Strukturen ändern, Kulturen konfrontieren und Strategien entwickeln, um das Kindeswohl in allen Altersstufen zu sichern. Das Thema kann man nur gemeinsam bearbeiten. Es lebt von Kommunikation, Transparenz und Netzwerken.

 

RED: Vielen Dank für das Interview!

© FA